Führung: Der Kleine Residenzturm

15.04.2011 von Florian Notter

Von seinem Äußeren her ist der kleine Turm des Freisinger Residenzgebäudes jedermann präsent. Spätestens beim Betreten des Domplatzes fällt er durch seine Form und seine Farbgestaltung auf. Was sich im Inneren des Turmes verbirgt, ist hingegen nur wenig bekannt. 

Errichtet wurde der Turm vermutlich in spätmittelalterlicher Zeit; Reste einer gotischen Ausstattung – v. a. eine Tür und diverse Malereifragmente im Erdgeschoss sowie die Formen einiger erhaltener Schießscharten in einem der oberen Geschosse – geben darauf einen Hinweis. Die im Bereich des Turmerdgeschosses erhaltene, mit dem Turmbau verbundene und rund einen Meter tiefe Bruchsteinmauer dürfte allerdings deutlich älteren Ursprungs sein. Da in Freising spätestens seit dem 12. Jahrhundert Ziegel in ausreichender Qualität hergestellt werden konnten (vgl. Dombau nach dem Brand von 1159), wäre der Ankauf von teurem Bruchsteinmaterial aus entfernten Regionen ab diesem Zeitpunkt kaum zu erklären. Möglicherweise handelt es sich dabei um einen der ältesten erhaltenen baulichen Überreste Freisings. 

Der mittelalterliche Turm, der über einer annähernd quadratischen Grundfläche aufgeführt worden war, bestand zunächst aus mehreren relativ niedrigen Geschossen, was an den vielerlei Aussparungen im Mauerwerk noch in Teilen nachvollzogen werden kann. Abgeschlossen wurde er nach oben hin durch ein schlichtes Zeltdach. Unter anderem seiner Lage am Nordosteck der mittelalterlichen Residenz sowie den erhaltenen Schießscharten nach zu schließen, dürfte die Funktion des Turms zu dieser Zeit in erster Linie eine militärische gewesen sein. 

Im frühen 17. Jahrhundert erhielt der kleine Residenzturm ein neues Erscheinungsbild. Im Wesentlichen ausschlaggebend für den Umbau des Turms im Inneren wie im Äußeren war die Einrichtung der fürstbischöflichen Hofkapelle im ersten und zweiten Obergeschoss zwischen 1617 und 1629 unter den Freisinger Fürstbischöfen Stephan von Seiboldsdorf (reg. 1612-1618) sowie Veit Adam von Gepeckh (reg. 1618-1651). Um für eine derartige Nutzung den entsprechenden Raum zu bekommen, hatte man den Turm nach Norden, Osten und Süden durch kleinere Anbauten, die bis auf die Höhe des dritten Turmgeschosses (über der Hofkapelle) reichen, erweitert. Diese Anbauten prägen das äußere Erscheinungsbild des Turms bis heute entscheidend, kaschieren sie doch dessen ursprünglich geringen Umfang. Als architektonisch wie städtebaulich besonders weitreichende Maßnahme erwies sich zudem der Aufbau eines Oktogons samt Welscher Haube. 

Seit dieser Zeit hat sich der kleine Residenzturm innen wie außen vergleichsweise wenig verändert – im Gegensatz etwa zum großen Residenzturm, dem Pendant an der Nordwestecke, der im 18. Jahrhundert mehrmals verändert und um 1830 schließlich bis zur Traufhöhe des Residenznordflügels abgebrochen wurde. Das Erdgeschoss des kleinen Residenzturms war offensichtlich längere Zeit nicht zugänglich; die Inventare der Barockzeit bezeichnen es nicht, auch die Grundrisspläne des Residenzgebäudes aus der Säkularisationszeit 1802/03ff. verzeichnen hier keinen Raum. Bis heute führt kein ordentlicher Zugang in dieses Geschoss. Durch diese verborgene Existenz konnten die Reste der spätmittelalterlichen Ausstattung bis ins 20. Jahrhundert weitgehend konserviert werden, so dass diese Zeit dort wie kaum an einem anderen Ort in Freising gleichermaßen erfahrbar und erlebbar ist.

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