Situation der Heimatpflege im Großraum München
01.06.2014 von Reinhard Kendlbacher
Vortrag zur Jahreshauptversammlung 2014 mit Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler
Anlässlich der gut besuchten Mitgliederversammlung am 27. Mai im Roten Saal des Kardinal-Döpfner-Hauses auf dem Freisinger Domberg hielt als Gastreferent Dr. Norbert Göttler, Bezirksheimatpfleger von Oberbayern, einen sehr informativen und beachtenswerten Vortrag.
Zunächst erläuterte er kurz die Aufgaben eines Heimatpflegers und widmete sich dann dem Begriff Heimat, seiner Entstehung, Entwicklung und heutigen Bedeutung. Dem Heimatpfleger obliege es einerseits, die vielfältige Kultur einer Region und die dort üblichen Sitten und Gebräuche darzustellen und zu fördern, zunehmend gehe es andererseits auch darum, Veränderungen der ländlichen Räume zu beobachten sowie negative Entwicklungen zu thematisieren. Der Begriff „Heimat“, so Göttler, spiele dabei eine erhebliche begleitende Rolle. Er sei lange Zeit politisch missbraucht worden, sei daher zeitweise verpönt und nicht mehr vermittelbar gewesen. Heute stehe der Bezug zur Heimat wieder im Fokus, auch als Reflex, als Antwort auf die zunehmende Tendenz zur Globalisierung.
Norbert Göttler beleuchtete dann die Entwicklungsstufen, die der Begriff „Heimat“ durchlaufen hat. Ursprünglich definierte man Heimat nur als einen juristischen Begriff, als Heimatrecht, das man hatte oder nicht. Das Recht auf Heimat musste erkauft werden. Ohne Heimatrecht fehlten alle soziale Netzwerke, das Recht auf soziale Fürsorge in Notfällen; sogar das Recht zu heiraten war den Menschen versagt. Das eigentliche Ziel, mit dieser selektiven Rechtsordnung feste gesellschaftliche Strukturen zu etablieren, wurde völlig verfehlt. Stattdessen entstand ein kaum noch zu steuerndes ländliches Proletariat (zum Beispiel Dörfer mit überwiegend unehelichen Kindern).
Die zweite bemerkenswerte Phase, die den Begriff „Heimat“ wieder ins Bewusstsein rückte, geht auf die negativen Auswirkungen des Erbrechts zurück. Die weichenden Erben in kinderreichen Familien, die also Haus und Hof verlassen mussten, wurden von einer „neuen“ Krankheit befallen, dem Heimweh, der Sehnsucht nach dem Ort (Topos), den man verlassen musste, weg in das U-Topos (kein Herkunftsort). Hier wich einerseits der abrahamistische Mensch, der sozusagen immer unterwegs blieb; da blieb der adamistische Mensch, der wie seine Vorfahren weiter neue Wurzeln schuf, weiter das heimische Feld bestellte.
Die dritte, sehr prägende Phase in der Entwicklung des Heimat-Begriffes steht in engem Zusammenhang mit den kriegsbedingten Vertreibungen. Viele Menschen mussten über Nacht neue Wege suchen. Doch die Sehnsucht zu den Herkunftsorten blieb. So erklärt sich Heimat auch als ein Begriff ohne Mehrzahl. Man könnte auch sagen: Es gibt eben nur eine Heimat! Der Topos, der Ort der Herkunft, ist verloren. Die Sehnsucht dorthin zurück bleibt ein Traum (U-Topos), bleibt Utopie!
Der heutige Heimat-Begriff, geprägt von diesen verschiedenen Entwicklungsstufen, genießt folglich einen hohen Stellenwert. Somit, so resümiert Norbert Göttler, beinhalte Heimatpflege auch große Verantwortung für die Zukunft. Die Heimatpfleger heute definieren sich als Verantwortliche, die Heimat vor Wertverlusten schützen und überkommenen Werten neue Werte hinzufügen sollten. Dazu gehört zum Beispiel regionale Kulturarbeit oder auch die Denkmalpflege.
Norbert Göttler machte deutlich, dass sich mit den neuen Siedlungsformen und angesichts der permanenten Nachverdichtung (der Raum München wächst alle zwei Jahre um 50.000 Menschen) zunehmend neue Konflikte einstellten. Dem verstärkt auftretenden Individual-Pluralismus würden sich im Bauwesen daher neue soziale Aufgaben stellen.
Abschließend appellierte Norbert Göttler, dem Freisinger Kulturdenkmal Schafhof, einem absoluten Juwel, mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Ferner bat er um Unterstützung für die nächste Jahrestagung des Bezirkes Oberbayern, diesmal in Freising.